Die fantastischen Abenteuer der Overlander
20.08.2024 | 16min
Dieses Jahr sind wir mit der Blonky Blue in die Elfenbeinküste gefahren. Zuerst im Süden von Senegal, über Ziguinchor (die letzten Einkäufe machen), nach Kolda, Diaobé dann nach Guinea Conakry über Koundara, Labé, Mamou, Faranah, Kissidougou, Guéckédou, Nzérékoré bis in die Elfenbeinküste nach Man.
Fast alles beim Alten, ausser dass wir ein paar Schweizer im Senegal getroffen hatten, diese zu uns eingeladen haben, und wir zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung gefahren sind. Klar dass wir uns irgendwo treffen werden. Wir sind noch nie durch Guinea Conakry gefahren, also wussten wir dass uns ein neues Abenteuer erwartet.
Die Familie reist unter dem Pseudonym Lemsfamily, ist recht nett, und man macht sich nicht viele Gedanken dass wir vielleicht komplett andere Vorstellung vom Reisen haben.
Fast forward zu Man, wo wir sie das erste Mal wieder treffen und Erfahrungen der Reise austauschen. Sie sagen uns dass wir uns im Centre Fokolary treffen können, dies sei ein ein Treffpunkt für Overlander. Ok, obwohl wir sonst immer wild campen, treffen wir uns dort. Auch uns tut nach der anstrengenden Reise ein bisschen Ruhe gut.
Es sind ein paar andere Overlander da. Alle mit 4x4; teilweise sehr gut ausgerüstet. Man redet über Autos, PS, Ausrüstung, wie man unterwegs kocht und wo die besten Stellplätze waren. Auch über welche extremen Situationen man erlebt hat und wer der anderen Overlander schon hier war und wer schon weiter ist. Alle scheinen alle zu kennen. Alle haben entweder ein gut funktionierendes Instagram, Facebook, ein Polarsteps Account und alle, wirklich alle, orientieren sich mit iOverlander.
iOverlander scheint wirklich ein paar schöne Plätze auf der Durchreise in Guinea zu haben - lustigerweise sind wir an erstaunlich vielen dieser Orte gelandet, ohne einmal diese App aufgemacht zu haben.
Nun ja, nichts gegen diese App, aber dadurch dass jeder diese App hat, landet auch jeder am gleichen Ort.
Genau da fing ich mit dieser Overland Szene ein wenig zu hadern an.
Und so sollte es auch sein. Die meisten Overlander machen regelmässig mit anderen Overlander ab. Liken sich gegenseitig ihre Posts und tauschen Tipps aus wo es schön und gut ist, und was man vermeiden sollte. Ich war wirklich überrascht wie gut alle miteinander vernetzt waren.
Info
Bei diesem Treffen in Man lernen wir auch die anderen der aktuell durch Afrika Reisenden kennen. Die meisten fahren nach Südafrika und dann die Ostküste rauf. Alle kennen ihre Route und den Zeitplan bereits recht gut.
Themen wie Wasserqualität, Automechanik, Ersatzteile und Reisegadgets sind allgegenwärtig. Auch die Orte die sich lohnen sind bereits den Meisten bekannt. Dass wir Senegal bereits seit 4 Jahren kennen und weitere 4 Jahre in der Elfenbeinküste verbracht haben, interessiert nur wenige. Komischerweise frägt uns nur einer dieser Reisenden für ein paar Geheimtipps. Auch die Informationen über die Regenzeit scheint niemand zu interessieren, oder wenn, dann nur latent weil man bereits alles darüber zu wissen scheint.
Der Abend wo ich mich richtig schämen musste.
Wir sind in der Zwischenzeit in San Pedro. Hier treffen wir uns nochmals mit der Lemsfamily und die bringen auch noch ein paar andere Reisende mit. Wir beschliessen alle zusammen zu essen. Bei Madame Lan am Meer.
Unser Freund Yeo, der uns im 2019 getraut hat, nehmen wir als Gast mit. Es gibt keine Sprachgrenze und alle reden und verstehen fliessend Französisch. Niemand spricht mit Yeo. Komisch. Yeo frägt wie dass sie das Land erleben und was man aus touristischer Sicht ändern könnte. Die Overlanders beantworten die Frage untereinander. Niemand schaut beim Antworten Yeo an. Mir wird unbehaglich. Was geht da vor? Sie haben einen Beamten vor sich, ein gestandenes Mitglied der Gesellschaft wessen Land sie bereisen und niemand interessiert sich für ihn und man hat Mühe ihn überhaupt anzuschauen. Die Gesprächen drehen sich wieder über das Gleiche. Wo ist der nächstbeste Stellplatz. Wie sind die Strassenverhältnisse. Wo treffen wir uns als nächstes, wo wollen wir hin, was wollen wir sehen.
Langsam dämmert mir was mir eigentlich in Man und Nuakshot schon gedämmert hat. Diese Overlander, die wollen gar nichts von Afrika lernen. Sie denken sie wissen bereits alles. Sie wollen sich gar nicht anpassen oder etwas Neues erfahren. Sie wollen nur etwas erzählen können, und zwar ihren weissen Freunden. Sie wollen keine neue Kultur kennenlernen. Es scheint mir, dass die Meisten eigentlich nur aus dem Fenster schauen wollen aus der behüteten Umgebung ihres Reisemobils. Quasi von Europa aus das Geschehen vor Ort anschauen. Vor allem fällt mir auf, dass alle eine Art rassistischen Unterton in ihren Geschichten haben. Vielleicht, aber nur vielleicht, sind auch die meisten dieser Overlander leichte Rassisten. Aber die guten Rassisten. Die, die nur schlecht hinter dem Rücken reden und frontal immer schön lächeln. Man will ja nicht ausgeraubt werden.
Viele der Geschichten über Einheimische tönen ganz und gar voreingenommen. Die sind so oder so und leben in diesen oder anderen Zuständen. Aber nur vom sehen, weil man ja mit den Einheimischen den Kontakt vermeiden will. Klar hat man auch mit Einheimischen zu tun, aber diese Einheimischen sind sich an Touristen gewöhnt. Man muss ja manchmal auch mit dem Personal vom Restaurant, vom Hotel oder Camping reden. Und klar hat man immer wieder mit Einheimischen zu tun. Auf dem Markt, der Tankstelle, der Bank, dem Guardien etc. - halt wenn man muss.
Letzthin hat mir eine Französin voller Stolz erzählt, dass wenn man sie zu bestechen versucht sie immer laut zu schreien beginnt dass sie Leute in hohen Positionen kennt und so meistens durchkommt. Genau diese Geschichten lieben die Overlanders zu erzählen. Ich habe dies und das gemacht und bin so zum Resultat gekommen oder hab etwas billger als die Anderen bekommen. Das ist so weit von der Realität entfernt dass es schon weh tut. Man kommt als Europäer, und man weiss was die Europäer hier alles verbrochen haben. Man weiss dass diese Länder ausgebeutet werden, genau eben durch diese Leute in den hohen Positionen und man beteiligt sich bewusst oder unbewusst an diesem Spiel. Dass hier alle bestochen werden entgeht den Meisten. Nein, als europäer muss ich priviligiert sein! Ich muss besser als die EInheimischen behandelt werden. Als ob der Kolonialimus immer noch besteht. Als ob man ein Recht dazu hätte! Es ist so extrem falsch und es ist dermassen in den Köpfen. In den Köpfen der Einheimischen und auch der Reisenden. Ich denke mir dann immer dass ich als Franzose schon mal gar nicht erst das Maul aufmachen würde. Aber die Franzosen haben bis Heute das Gefühl dass ihnen West-Afrika gehört.
Ich war mal in einer "Franzosen Bar" in San Pedro und da sind quasi alle Rassisten Expats versammelt. Alles alte Franzosen die hier leben und quasi kein gutes Wort über das Land verlieren. Am liebsten nur untereinander abhängen. Die meisten sind sogar mit Afrikanerinnen verheiratet, aber auch über sie mögen sie nichts positives berichten. Franzosen in West-Afrika sind das Letzte. Die benehmen sich als ob ihnen das Land gehören würde. Machen fleissig mit der Korruption mit und reissen sich die besten Stücke Land oder die besten Geschäftsopportunitäten unter den Nagel. Und dann immer die gleiche Leier. Vor allem die Alteingesessenen. Die berichten sehr einseitig über ihre Erlebnisse. Mit einseitig meine ich dass kein Gespräch zustande kommt, nur ein Schwall Geschichten was die Typen hier schon alles erlebt haben. Das kann sich teilweise sehr in die Länge ziehen. Wer du bist, oder was du bereits erlebt hast, interessiert sie nicht. Sie sind ja schon viel länger da und haben wahrscheinlich ihre Geschichte schon tausend mal erzählt, so dass sie es unbedingt dem Frischfleisch auch noch erzählen müssen. Dieses Problem haben fast alle Alteingesessenen. Ich hoffe bloss, dass ich eines Tages nicht auch so werde!
Und dann war ich grad kürzlich in Saly auf der Ferme de Saly bei Jean Paul. Jean Paul kam 1973 in den Senegal. Kaufte sich 4ha Land an einem früher einsamen, unzugänglich Ort, welcher heute sehr Touristisch ist. Er fing an Bäume zu pflanzen und dieser Wald steht bis heute noch. Es bleibt der einzige Wald weit und breit, weil alles drum herum verbaut ist. Jetzt ist Saly sehr touristisch. Das muss man ihm lassen: er ist sich treu geblieben.
Wir haben zusammen die Olympiade 2024 in Paris angesehen. Nun, zwei mal habe ich vielleicht eine halbe Stunde mit ihm geschaut. Er wusste peinlichst genau wieviele Medallien Frankreich gewonnen hat und wer sie gewonnen hat. Er schwärmte von der guten Organisation und von der tollen Eröffnungsfeier. Totaler Fan. Dann: Senegal gegen Türkei. Judo oder sowas. Er ist für den Türken. Ich bin total verwirrt. Wieso ist er nicht für den Senegal. Für das Land in dem er die letzten 51 Jahre gelebt hatte. Er war sehr froh dass der Türke gewann und nicht der Senegalese. Ich bin komplett verblüfft. Ich wusste eigentlich dass er ein alter französischer Rassist ist, ich hatte es nur vergessen. Ich habe ihn noch gefragt ob er nicht den Senegalesischen Pass beantragen wolle. Er schaute mich nur verdutzt an. Nein - er will Franzose bleiben. Er ist froh dass sich Saly, wo er sich befindet, so gemacht hat. Dass man hier quasi westlich lebt. Dass es 5 Supermärkte gibt und man praktisch alles bekommt - bis hin zum Schimmelkäse. Im krassen Gegensatz zu uns, die nur einen relativ kleinen Supermarkt im Umkreis von 120km haben.
Wieso geht man überhaupt in ein Land leben welches man nicht mag? Ist das vielleicht am Anfang nicht so, und diese Abneigung entwickelt sich erst später? Wie kann man an einem Ort wohnen wo man die Leute verachtet? Wie kann man nicht am Leben teilnehmen wollen? Wieso will man den Pass für ein zweite Bürgerschaft nicht wahrnehmen? Fühlt man sich in einer solchen Situation einfach zu überlegen? Würde ich in irgendeinem Land die Einbürgerung nicht wollen? Wäre Ukrainer zum Beispiel unter meiner Würde? Nein, dort wo ich lebe, möchte ich auch dazugehören. Jedenfalls bis jetzt.
Später finde durch Gespräche mit dem Personal heraus, dass Jean Paul einfach hier ist um Geschäfte zu machen. Er hat anno dazumal eine Opportunität gesehen die er promt umgesetzt hat, und nun ist er wohl Opfer seines Erfolgs geworden und muss in diesem Land bleiben.
Der 10x Overlander
Und nun die Geschichte des 10x Overlanders. Ich nenne ihn 10x Overlander weil er das gleiche wie die anderen Overlanders macht, aber 10 mal extremer.
In Nuakshot habe ich ein Gespräch mitbekommen welches zwei Engländer mit einem Österreicher geführt haben. Der Österreicher will mit dem Motorrad nach Südafrika und die Engländer kommen grad von da. Mit einem Mitsubishi der aussieht wie ein Land Rover Defender.
Der Österreicher musste beim ersten Versuch vor ein paar Jahren abbrechen und versucht es nun ein zweites Mal. Er hängt den Engländern an der Lippe weil er natürlich aktuelle Informationen von anderen Südafrika Reisenden bekommen will. Er hört ihnen sehr gespannt zu.
Ich höre mit. Ich staune als die Engländer erzählen dass sie von Südafrika nach Nuakshot nur 3 Monate gebraucht haben. Ja! 3 Monate! (zum Vergleich: wir haben 2 Monate gebraucht um von Europa nach Nuakshot zu kommen). Sie haben gesagt dass sie es eigentlich noch schneller geschaft hätten, hätten sie nicht noch eine Woche auf irgend ein Visa warten müssen. Ich dachte mir schon, spätestens jetzt müsste der Österreicher das Interesse verlieren, aber im Gegenteil, er war begeistert, wohl weil sein Plan nach Südafrika zu kommen wahrscheinlich ähnlich aussah. Wenn man das in 3 Monaten schaffen will, dann ist man quasi nur am Fahren.
Analysieren wir das Ganze mal: Folgende Länder muss man durchqueren:
Südafrika, Namibia, Angola, Kongo, Gabun, Kamerun, Nigeria, Benin, Togo, Ghana, Elfenbeinküste, Mali, Mauretanien.
13 Länder, in 10 Wochen. Bleibt also nicht mal eine Woche pro Land. Wenn man dann noch 2 Tage für Ein- und Ausreise pro Land rechnet, bleiben einem vielleicht ein paar Tage pro Land.
Der Junge (es waren Vater und Sohn) hatte zudem sehr starke Meinungen über gewisse Länder. So im Stile von Gabun ist ein Scheissloch, Kongo musst du vermeiden, Nigeria war der Horror, Namibia war nice aber zu teuer, Togo und Benin lohnen sich nicht, Elfenbeinküste hat gute Strassen…
Stell dir vor: man kennt ein Land nur ein paar Tage und berät dann andere Reisende, als ob man Ahnung hätte. Wir reisen nun schon seit 8 Jahren in West-Afrika und ich habe das Gefühl ich fange diese Kultur erst langsam an zu begreifen. Ich würde mich nie wagen ein derart krasses Urteil über irgendein Land zu sprechen. Und diese 10x Overlander reden über diese Länder als ob sie diese Länder schon jahrelang kennen. Ich habe mich fremdgeschämt und auch den Motorradfahrer welchen ich eigentlich anders eingeschätzt hatte wurde mir auf einmal weniger sympatisch.
Ich weiss gar nicht warum ich das schreibe. Das muss ich wohl einfach mal loslassen. Das Ganze erscheint mir teilweise wie ein fakes Abenteuer welches nur im Nachhinein genossen werden kann. Vielfach auch nur Prestige um sagen zu können dass man es gemacht hat. Ein Bucketlist Eintrag weniger. Vom Norden in den Süden. Abgecheckt. Von der Kultur, den Leuten, dem Leben, den Problemen - kein Mitschnitt. Als on man von Zuhause aus eine Doku über Afrika anschaut. Natürlich eine Doku welche von Weissen über Schwarze gemacht wurde.
Hauptsache man hat sein Aromat dabei.
Nachtrag: Es gibt natürlich ganz viele verschiedene Overlander die aus den verschiedensten Gründen durch Afrika reisen. Ich möchte hier auch nicht alle in einen Topf schmeissen. Dies ist bloss ein sehr subjektiver Blog Eintrag über etwas was mir durch eine bestimmte Konstellation in gewissen Momenten durch den Kopf ging. No Offense! Je mehr Leute durch Afrika reisen, desto besser. Ich denke jeder Reisende wird etwas lernen und etwas mitnehmen.
ONE LOVE!